Die Frau hat viele Seiten

Buchliste

Ich hab schon lange davon geträumt, ein Archiv für meine Leseabenteuer anzulegen, hier ist es nun endlich. Yeah!

 

Dezemember 2022

Im Regelfall lese ich Bücher eher fix. Dieses hier lädt ein zum Innehalten, Nachdenken, noch einmal Lesen. Ich zitiere in meinen Breathworkklassen momentan regelmäßig aus diesem Buch. Meine Lieblingspassage: “Pflanzen und Tiere kämpfen nicht gegen den Winter an. Sie tun nicht so, als würde der Winter gar nicht einziehen, sie versuchen nicht, genauso weiterzuleben wie im Sommer. Sie bereiten sich vor. Sie passen sich an. Sie durchlaufen unglaubliche Metamorphosen, um den Winter zu überstehen. Winter ist die Zeit des Rückzugs von der Welt, der maximalen Ausnutzung knapper Ressourcen, brutaler Effizienz und Unsichtbarwerdung - aber genau da findet Verwandlung statt. Winter ist nicht Tod, ist nicht das Ende eines Lebens, sondern eine Bewährungsprobe. Wenn wir aufhören, uns ständig nach Sommer zu sehnen, kann der Winter eine ganz wunderbare Jahreszeit werden, in der die Welt von sparsamer Schönheit ist und selbst der Asphalt funkelt. Eine Zeit zum Nachdenken, zum Erholen, zum langsamen Wiederaufladen, zum Aufräumen.” Durch die Lektüre des Buches gebe ich mir gerade öfter die Erlaubnis, nichts zu tun. Nichts im produktiven Sinne und auch die Erlaubnis, drinnen zu bleiben. Verabredungen nur sparsam zu treffen und die Zeit der Metamorphose, des inneren Aufräumens, zu zelebrieren.


Dieses Buch im Winter zu lesen hat mich ganz besonders fasziniert, weil es beschreibt, wie Christopher Knight mit 20 Jahren in den Wald geht und ganze 27 Jahre lang dort in einer Zeltkonstruktion lebt. Und das freiwillig und ohne jemals ein Feuer zu entzünden. Jedes Mal, wenn ich dick eingemummelt draußen unterwegs bin, stelle ich mir vor, wie es wäre, im Anschluß nicht in einen warmen Raum zurück zu kehren, sondern in ein nicht minder kaltes Lager. Knight allerdings hat dieses Leben freiwillig gewählt, um fernab von anderen Menschen zu sein, inmitten der Natur und mit den Elementen. Seine Rückkehr in die Gesellschaft geschah auch nicht freiwillig. Er brach immer wieder in Ferienhäuser ein, um sich mit Lebensmitteln und Co. zu versorgen. Nach 20 Jahren erfolgloser Versuche fasste ihn die Polizei bei einem dieser Einbrüche. Der Autor, dem Knight in Interviews von seinem Leben erzählte, schafft eine sehr respektvolle Abbildung der Persönlichkeit von Knight, seiner Motive und Lebensweise im Wald. Auch streift das Buch immer wieder Aspekte unseres “modernen Lifestyles” und den damit verbundenen …, wegen derer Knight ein Leben im Wald dem eines in der Zivilisation vorzog. “Das Hauptproblem mit Umweltlärm besteht darin, dass man ihn nicht ignorieren kann. Der menschliche Körper ist so erschaffen, dass er darauf reagiert. […] Der Körper reagiert augenblicklich, selbst im Schlaf. Großstadtbewohner haben chronisch erhöhte Stresshormonewerte. […] Lärm schädigt den Körper und kocht das Hirn. Das englische Wort für Lärm, noise, entstammt dem lateinischen Wort nausea - “Übelkeit”. Man benötigt gar nicht so viel Stille oder muss unbedingt allein sein, um der Stressfalle zu entfliehen. Aber man sollte sich so oft wie möglich in ein beruhigendes Umfeld begeben.” Dem würde ich gern hinzufügen, dass das auch das bewusste Atmen ermöglicht - sich diese Beruhigung im Innen zu schaffen. Wer sich dabei Unterstützung oder Inspiration wünscht, schreibt mir gern.


Im letzten Jahr habe ich einige Bücher gelesen, die ich nicht erwähnt habe und wohl nicht mehr so umfangreich beschreiben werde. Hier dennoch als Liste (ungeordnet) und tbc:

Fiction:
Jona Tomke - Das Ramayana/ nacherzählt für Kinder und ihre Eltern
Laetitia Colombani - Das Mädchen mit dem Drachen
Goldie Goldbloom - Eine ganze Welt
Christina Dalcher - Vox
Jane Healey - Unser letzter Sommer am Fluss
Miranda Cowley Heller - Der Papierpalast
Bridget Collins - Die verborgenen Stimmen der Bücher
Virginie Grimaldi - Unser Tag ist heute
Sejal Badani - Der Weg heim


März 2024

Im Laufe des Buches habe ich immer langsamer gelesen, um es möglichst lange hinaus zu zögern, dass es irgendwann zu Ende ist. Und habe die letzten Seiten schluchzend gelesen, weil mir alle Charaktere ans Herz gewachsen sind und ich ein wenig sentimental den ersten Seiten und jüngeren Selbst von Aja, Seri, Karl und ihren Müttern nachgetrauert habe. Mich hat es daran erinnert, wie sehr ich mich manchmal in meine eigenen unbeschwerten und freien Kindertage zurücksehne.
Beeindruckend fand ich im Buch die Dichte der Bilder und die wiederkehrende Beschreibung von den immer gleichen Orten und Details, die sich wie ein stabiler Rahmen um Aja, Seri und Karl spannen, während man sie als Leser*in durch ihr halbes Leben begleitet. Für mich beschreibt das gut das Leben selbst: Obwohl sich Dinge beständig verändern, kann uns Kontinuität (wie z.B. bewusstes Atmen oder eine Meditations-/Yogapraxis ;) durch Veränderung tragen und Stabilität schenken, wenn sich die Welt um uns immer schneller dreht.

Mich hat im Buch sehr berührt, wie eng und gleichzeitig fragil Beziehungen zwischen Menschen sein können und wie groß der Wert von Gemeinschaft & Zusammenhalt für jede*n Einzelne*n ist. Besonders ans Herz gegangen ist mir dabei, wie eine der Mütter den Kindern mit Fantasie und Zugewandtheit eine reiche Kindheit beschert, sie sich nicht an Materiellem orientiert, sondern durch die Beziehung der Personen miteinander entsteht. Ein schöner Reminder für das Leben mit meinen eigenen Kindern und eine Bestärkung vom Wert analoger Erlebnisse.


Mir wurde das Buch empfohlen im Rahmen eines Vortrags von Bettina Alberti, bei dem es darum ging, wie pränatale Erfahrungen unsere Beziehungsfähigkeit beeinflußen und wie weitgreifend transgenerationale Weitergabe wirken kann. Das Buch begleitet Stine, die zur Zeit des Mauerfalls drei Jahre alt ist und im wiedervereinigten Deutschland aufwächst. Bedrückend schildert es ihre Kindheit und Jugend und die Fragen, die ihre Familiengeschichte für sie aufwirft, auf die sie jedoch von ihren Angehörigen keine Antworten erhält. Es beschreibt die Verunsicherung der Wendejahre und die Auswirkungen auf Identität und Wertebildung und die Frage nach Wegen der Vergangenheitsbewältigung. Ich kann mich selbst noch sehr genau erinnern, wie unbeständig ich diese Zeit als Kind und durch meine Teenjahre wahrgenommen habe und wie wenig Kontexte es gab, sich offen darüber auszutauschen. Auch im Buch wird das Schweigen immer wieder thematisiert und das erlernte Verhalten, Dinge nicht in Frage zu stellen. sondern mit Härte und Disziplin an Prinzipien fest zu halten.

Die Ich-Erzählerin streift dabei immer wieder ihre eigene Elternschaft und den Wunsch, es anders zu machen als ihre Eltern, Grosseltern und vorherige Generationen. Dabei beschreibt sie gleichzeitig, wie prägend sich deren Lebenserfahrung auf nachkommende Generationen auswirken und wie schwer es uns als Eltern manchmal fällt, aus gelernten Mustern auszubrechen. Um mit unseren Kindern andere Wege einzuschlagen braucht es mitunter radikale Entscheidungen und die Toleranz, Konflikte mit Eltern/Grosseltern usw. auszuhalten, um unsere Kinder gemäß der eigenen Werte zu begleiten. Stine entscheidet sich zu einem Kontaktabbruch mit ihren Eltern und beschreibt dabei aufwühlend, wie kraftaufwändig es ist, sich mit der eigenen Geschichte auseinander zu setzen und dem entgegen zu stellen, was einen selbst geprägt hat.


leah

Als ich das Buch in den Händen hielt, habe ich mich gefragt, wie dick ein Buch wäre, dass ich mit meinem Wissen zur Gebärmutter füllen könnte. In jedem Fall viel schmaler als das Buch von Leah Hazard, die jedes Kapitel einem anderen Blickwinkel widmet und ich so viele neue Erkenntnisse und Denkanstöße gewonnen habe. Und Wissen. Z.B. darüber, dass eine Gebärmutter transplantationsfähig ist oder dass es ernsthafte Möglichkeiten gibt, dass Babys in der Zukunft in künstlichen Gebärmüttern heranwachsen. Wirklich nachdenkenswert dabei ist, wie sich folglich die Hoheit über den eigenen Körper enorm verändern wird. Ein Schlüsselsatz dazu aus dem Buch: " Welchen Wert hat ein gebärender Körper, der nicht gebiert, oder die Gebärmutter, dieses Organ aus Fleisch und Blut, deren evolutionärer Zweck überflüßig gemacht wird, ersetzt durch eine gewagte Synergie von Mensch und Maschine?"

Das Buch hat im Verlauf des Lesens den Blick auf meine eigene Gebärmutter verändert und in jedem Fall den Respekt erhöht, den ich meinem weiblichen Körper gegenüber habe. Auch habe ich damit noch einmal einen anderen Blickwinkel auf die Geburten meiner Söhne gewonnen, die nicht unterschiedlicher hätten sein können und vermutlich abbilden, wie höchst individuell und auf einer Skala zwischen selbstbestimmt und fremdbestimmt Geburten ablaufen können. Sie beschreibt u.a., wie standardisiert und nicht immer im Sinne der Gebärenden sythetisches Oxytocin unter der Geburt eingesetzt wird. Der Gebärmutter wird damit oft gar nicht die Zeit gelassen, ihrem eigenen Tempo zu folgen, während die Gebärende mit der Bewertung der Fähigkeiten des eigenen Körpers allein gelassen wird. Wenn du dich in diesem Aspekt angesprochen fühlst und dieses oder ein anderes geburtsrelevantes Thema in einem geschützten Rahmen noch einmal betrachten möchtest, empfehle ich dir von Herzen eine Geburtsintegrationssitzung. Mehr Infos hier.


September 2024

Ronja Wurm Seibel beleuchtet die Bedeutung von Gemeinschaft in einer Zeit, in der sich viele von uns voneinander entfernt fühlen. Sie zeigt auf, wie wichtig es ist, wieder näher zusammenzurücken und ein echtes Miteinander zu leben. Im Buch gibt sie zahlreiche Anregungen, wie wir im Alltag stärkere Verbindungen knüpfen können. Sei es durch kleine Gesten der Freundlichkeit oder durch bewusstes Zuhören – jede Interaktion zählt. Schön fand ich, dass vieles davon für mich bereits Gewohnheit ist. Dennoch hatte ich nach meiner Sommerpause Schwierigkeiten, in meinen Alltag der Selbständigkeit zurück zu kehren, in denen ich oft alleine arbeite. Mir fehlte das Gefühl, unter Menschen zu sein und das Buch hat mir den Anstoss gegeben, aktiv Gelegenheiten zu schaffen, um die Menschen zu treffen, die ich viel zu selten sehe. Anfangs fühlte sich das ein bisschen nach Aufwand an, wurde nach kurzer Zeit aber zu einer richtigen Wohltat. Interessant fand ich, dass ich all das schon wusste und das Buch dennoch zur Inspirationsquelle wurde, um mehr menschlicher Nähe und echte (analoge) Verbindung in meinem Alltag Platz einzuräumen. Es hat mich auch ermutigt, meine eigenen Beziehungen zu überdenken und neue Wege zu suchen, um Gemeinschaft zu fördern. ICH LIEBE ES, WIE UNS BÜCHER INSPIRIEREN!

Neben den theoretischen Überlegungen bietet “Zusammen” praktische Tipps, die leicht in den Alltag integriert werden können. Diese helfen dabei, das Gefühl von Zusammengehörigkeit zu stärken und aktiv zu fördern. Die Autorin referenziert viele andere Bücher - ganz viel neues Lesefutter - und deren Erkenntnisse und Impulse. Zum Beispiel die Anregung von Priya Parker (The Art of Gathering), sich folgende Fragen zu Beginn eines neuen Jahres zu stellen: “Welche Zusammenkünfte mit anderen haben in letzter Zeit dazu geführt, dass du dich lebendiger fühlst? Was sind deine Bedürfnisse fürs neue Jahr? […] Willst du mehr lachen mit deinen Leuten? Willst du mehr Gespräche mit Tiefgang? Willst du deine Zeit mit anderen körperlich aktiver und mit mehr Spass verbringen (und nicht immer essend um einen Tisch herum)? Gibt es besondere Arten und Weisen, auf die du gerne Zeit mit anderen verbringst, die du dir aber nicht erlaubst?” Vielleicht gute Gedanken für den nahenden Jahreswechsel?!

Ich kann es jedem ans Herz legen, der sich danach sehnt, in einer individualisierten Welt mehr "Wir-Gefühl" zu erleben. Haltet beim Lesen Ausschau nach Aglaya, meinem neuen Vorbild für die Jahre ab 80/90 ;)